Sarepta – Mutterhaus oder Krankenhaus?

„Unser Haus ist ein Diakonissenhaus, in dem Kranke verpflegt werden, und nicht ein Krankenhaus, in dem Diakonissen arbeiten“. Schon fast trotzig verteidigte der Vorstand im Jahre 1898 das Selbstverständnis der Westfälischen Diakonissenanstalt Sarepta gegen die von außen, von Staat und Gesellschaft, an die Mutterhausdiakonie herangetragenen Erwartungen. Doch konnte sich Sarepta dem Sog, der vom Aufbau eines flächendeckenden Krankenhauswesens am Ende des 19. Jahrhunderts ausging, auf Dauer nicht entziehen.

Das 1875 endgültig fertig gestellte Mutterhaus hatte Schwesternwohnungen, Kapelle und Krankensäle unter einem Dach vereinigt. Mit einer dazu gehörigen Baracke konnte es 130 Kranke aufnehmen. Westfalen und Lippe hatten damit ein neues evangelisches Krankenhaus bekommen, das schnell bekannt und beliebt wurde. Es stand insbesondere mittellosen und unheilbar kranken Männern und Frauen offen sowie Kindern, die an Tuberkulose litten. Die dichte Belegung der Krankensäle mit Patienten aller Art, auch mit solchen, die an Infektionskrankheiten litten, schien in dem Maße, wie sich im Krankenhausbau Gesichtspunkte der Hygiene durchsetzten, immer weniger tragbar. Möglichkeiten der Isolierung gab es im Mutterhaus nicht, im Gegenteil: Zum sonntäglichen Gottesdienst wurden die beweglichen Trennwände zwischen den Krankensälen und der Kapelle entfernt, damit die gesamte Hausgemeinde daran teilhaben konnte.

Nicht zuletzt unter dem Druck der Aufsicht führenden Medizinalbehörde musste seit den 1880er Jahren eine Abteilung nach der anderen aus dem Mutterhaus ausgegliedert werden. 1885 entstand das Kinderheim als Kinderkrankenhaus und Säuglingsstation, 1894 das Haus Rotes Kreuz als Isolierkrankenhaus, 1896 das Chirurgische Krankenhaus Gibeon. Für so genannte „Nervenleidende“, „Gemütskranke“ und „Irrsinnige“ wurden zwischen 1886 und 1897 die Häuser Bethesda, Magdala und Neu-Bethesda errichtet. 1911 schließlich wurde die innere Abteilung aus dem Mutterhaus in das Eckardtshaus, die spätere Haushaltungsschule, verlegt. Zu diesem Zeitpunkt liefen bereits die Planungen zum Bau des neuen, modernen Allgemeinkrankenhauses Gilead, Mittelpunkt der im Kantensiektal entstehenden Krankenhausstadt.

 

Mutterhausdiakonie und Krankenpflege

Die Erneuerung der Krankenpflege in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschah unter dem Dach der Kirchen – zunächst und vor allem durch die katholischen Kongregationen, seit 1836 durch die Diakonissen der evangelischen Mutterhausdiakonie, seit 1894 auch durch die Schwesternschaft des Evangelischen Diakonievereins. Am Ende des 19. Jahrhunderts gehörten drei Viertel der gut 26.000 in der Krankenpflege tätigen Frauen einer konfessionellen Schwesternschaft an.

Die Mutterhausdiakonie verstand Krankenpflege als christliche Liebestätigkeit und stand den Bemühungen der bürgerlichen Frauenbewegung, sie zu einem Beruf umzuformen, skeptisch gegenüber. Dennoch hat die Mutterhausdiakonie zur Verberuflichung der Krankenpflege viel beigetragen. Die gründliche Vorbereitung und Ausbildung der Diakonissen sicherte einen hohen professionellen Standard in der Krankenpflege, lange bevor Ausbildung und Prüfung des Krankenpflegepersonals von staatlicher Seite verbindlich geregelt wurden. Diakonissen hatten im 19. Jahrhundert großen Anteil an der Durchsetzung der Krankenhaushygiene und der Eindämmung des gefürchteten Hospitalbrandes. Manche von ihnen arbeiteten in den Operationssälen, in den neu entstehenden Krankenhauslaboratorien und Röntgenstationen. In den neuen Fachabteilungen für Orthopädie, Augen- und Ohrenheilkunde, für Erkrankungen des Herzens, der Lungen oder der Nieren trugen die dort tätigen Diakonissen wertvolles Wissen zur Spezialisierung der Krankenpflege zusammen.

Diakonissen des Mutterhauses Sarepta und auch Diakone des Brüderhauses Nazareth wurden in zahlreichen Krankenhäusern im ganzen Deutschen Reich tätig, so an der Berliner Charité und an den Städtischen Krankenanstalten in Bremen.

Das Diakonissenmutterhaus Sarepta, frühe Zeichnung
Das Diakonissenmutterhaus Sarepta, frühe Zeichnung

Grundriss des Diakonissenmutterhauses Sarepta. Im Zentrum die Kapelle, rechts und links die Krankensäle
Grundriss des Diakonissenmutterhauses Sarepta. Im Zentrum die Kapelle, rechts und links die Krankensäle

Bettensaal im Diakonissenmutterhaus Sarepta
Bettensaal im Diakonissenmutterhaus Sarepta

Das Kinderheim, 1910
Das Kinderheim, 1910

Das Schwesternkrankenhaus Gibeon, um 1900
Das Schwesternkrankenhaus Gibeon, um 1900

Isolierkrankenhaus Rotes Kreuz, Anfang des 20. Jahrhunderts
Isolierkrankenhaus Rotes Kreuz, Anfang des 20. Jahrhunderts

Schwesternkurs, 1950er Jahre
Schwesternkurs, 1950er Jahre

Im Operationssaal des Krankenhauses Gilead, vor 1953
Im Operationssaal des Krankenhauses Gilead, vor 1953

In der Radiologie des Krankenhauses Gilead, nach 1945
In der Radiologie des Krankenhauses Gilead, nach 1945

Sarepta-Diakonisse mit einer Eisernen Lunge, nach 1945
Sarepta-Diakonisse mit einer Eisernen Lunge, nach 1945